3.19.2007

Onkel Karl

Er hatte sehr spät geheiratet und natürlich eine reiche Frau. Sein Junggesellenleben war turbulent, interessant und eogistisch gewesen. Er hatte nichts anbrennen lassen. Frauen, die mit ihm verwandt waren hatten ihm gerne geholfen, wenn Hilfe gefordert wurde, und sei es auch "nur" beim Putzen, Bügeln und Nähen.
O. K. spielte wunderbar Geige, konnte beeindruckend zeichnen und malen, ja eigentlich konnte O.K. alles, was man so können konnte. Auf Reisen war er ein kundiger und belesener Führer. Die Familie bewunderte seine vielen Begabungen und schimpfte über seinen Egoismus. Als Zahnarzt hatte er es zu Reichtum gebracht. Zwei Kinder hatte ihm seine Frau geboren, einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn muss die Praxis des Vaters weiterführen, die Tochter spielt in einem Orchester Geige.
Heute ist O.K. fünfundneunzig Jahre alt. Er spielt nicht mehr Geige und malt auch nicht mehr, aber er weiß ganz genau, was um ihn herum passiert.
Nun ist seine viel jüngere Frau krank geworden. Sie hat sich zu viel zugemutet: Die Pflege ihres Mannes, die Betreuung ihres Enkels, die Verwaltung des Vermögens und die Führung des Haushaltes. Immer wieder hat sie einen Rückfall, wenn sie glaubt es geschafft zu haben. Während das Enkelkind jetzt meistens in der Krabbelgruppe betreut wird, liegt der alte Mann im Bett. "Meine Hoden tun mir weh," jammert er. Er kann das Essen nicht mehr bei sich behalten. Er kann nicht mehr scheißen. Er kotzt Scheiße. Es geht ihm schlecht und er kann nicht von seiner Frau betreut werden. Er will nicht ins Krankenhaus. Seine Kinder bringen ihn in die Klinik.
Am Telefon wird mit der Familie besprochen wie es weitergehen könnte. "Er will unbedingt in der früheren DDR beerdigt werden. Er hat das schriftlich festgehalten. Aber die Verwandschaft in der früheren DDR will das Grab nicht pflegen. Wir beerdigen ihn einfach hier, auch wenn er das nicht will."
Und er ist doch erst im Krankenhaus.
Und er ist doch noch nicht gestorben.
Aber vielleicht muss man realistisch sein, wenn ein 95jähriger Mann ins Krankenhaus kommt.

3 Comments:

Anonymous Anonym said...

so gerne ich auch realistisch bin - in manchen momenten sollte man lieber fühlen statt denken. auch wenn das völlig unrealistisch ist.

12:02 AM  
Anonymous Anonym said...

mein opa ist 95 geworden, gesund bis zuletzt und mit einer schneidigen stimme gesegnet:
"komm, jung, noch'n schnäpschen."
dafür war er niemals reich.

3:08 PM  
Blogger saxana said...

und wie und woran starb er..

10:48 PM  

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